Vom Aschenputtel-Organ ins Rampenlicht: Faszien sind der aufsteigende Stern am Therapeutenhimmel. Lange hat man nur den roten Muskeln Aufmerksamkeit geschenkt. Durch den technologischen Fortschritt kann man heute aber messen, welch hohe Bedeutung den weißen Bindegewebsfasern zukommt. Im Yoga arbeitet man unweigerlich am Fasziensystem: Von langen, schmelzenden Bewegungen bis hin zu spielerischen, kreativen und federnden Bewegungen in allen acht Dimensionen ist in einer Yogastunde alles mit dabei, was die Faszien erfreut.
Dr. Ida Rolf, eine Biochemikerin aus Amerika, war eine der Ersten, die die Bedeutung des Bindegewebes erkannte. Die Physiologin und Yogalehrerin aus New York vereinte um 1940 ihr Wissen zu einer Bindegewebsmassage, die sie Rolfing nannte. Ihr Methode zeigte vor allem bei Rückenschmerzen groß Erfolge, jedoch konnte dies damals wissenschaftlich noch nicht erklärt werden.
Dr. Robert Schleip ist ebenfalls Rolfer. Er wollte genauer wissen, warum diese Methode solche Erfolge erzielt. Der Humanbiologe und Psychologe verschrieb sich daher der Faszienforschung und ist an der Universität Ulm heute Pionier auf seinem Gebiet. Obwohl, wie er selbst betont, die Faszienforschung noch ganz am Anfang steht.
Erst seit etwa zehn Jahren, kann man dreidimensionale Modellierungen des Fasziengewebes machen. Ein Ultraschallgerät misst im 1/10 Millimeterbereich die Dicke der Faszien. Je nach Lokalisation ist das Fasziengewebe mal dünner, mal dicker. Beispielsweise ist die Rückenfaszie 1 bis 1,5 Millimeter dick, verdickt diese um 25 Prozent können wir durch feine Messungen heute feststellen, warum der Rücken schmerzt.
Was sind Faszien eigentlich?
Der Begriff Faszie stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Band“ oder „Bündel“. Es ist ein Sammelbegriff für überall im Körper anzutreffende Gewebe, welche die Zellzwischenräume bilden.
Faszien bestehen aus einem Maschenwerk von Proteinfasern, der extrazellulären Matrix (EZM), die in einer mit einem Serum vergleichbaren Flüssigkeit eingebettet ist. In dieser Matrix befinden sich Fibroblasten, welche auf kollagene und nicht kollagene Matrixproteine aufbauen.
Faszien sind überall im Körper anzutreffen, wobei man drei Schichten unterscheiden kann:
- Oberflächliche Faszien (Fascia superficialis) befinden sich direkt unter der Haut und bestehen vorwiegend aus lockerem Bindegewebe sowie Fettgewebe. Diese Schicht verbindet sämtliche Organe und Gewebe miteinander, speichert Fett und Wasser und hält uns als Ganzkörperfaszie in Form. Es handelt sich sozusagen um einen Körper im Körper. Würde man alle anderen Körperteile „ausblenden“, würde diese Faszienschicht noch immer unsere Form abbilden. Besonders spannend ist, dass diese Faszien zu enormer Zugspannung fähig sind. Zudem sind im Übergang zur nächsten Faszienschicht zahlreiche Rezeptoren anzutreffen, die für unsere Körperwahrnehmung (Propriozeption) verantwortlich sind. Forschungsergebnisse zeigen, dass wenn jemand myofasziale Schmerzen hat, die Körperwahrnehmung in den Keller geht. Wenn die Körperwahrnehmung jedoch gesteigert wird, werden auch die Schmerzen weniger.
- Tiefe Faszien (Fascia profunda) umschließen Muskeln, Knochen und Gelenke. Auch Sehnen oder Gelenkkapseln zählen zu dieser tieferliegenden Schicht. Der hohe Anteil an Kollagenfasern verleiht dieses Geweben eine hohe Zugbelastbarkeit. Weiters sind diese tiefen Faszien mit sensorischen Rezeptoren ausgestattet. Sie reagieren auf mechanische und chemische Reize ebenso wie auf Temperaturschwankungen. Atem und Bewegung zu synchronisieren hat daher großen Einfluss auf die Faszien.
- Viszerale Faszien dienen als Aufhängung und Einbettung der inneren Organe sowie des Gehirns (z.B. Hirnhaut, Brustfell der Lunge, Bauchfell).
Fest steht somit: Faszien geben unseren Körper Form und durchdringen uns bis unser tiefstes Inneres. Bewegungen können daher nicht isoliert auf einzelne Muskeln betrachtet werden.
Wodurch verfilzen Faszien?
Ein gesundes Fasziengewebe sieht aus wie ein flüssiges Spinnennetz, das scherengitterförmig und wellig angeordnet ist. Verklebte oder verfilzte Faszien hingegen sehen aus wie ein wilder Wollknäuel. Das kann viele Ursachen haben, beispielsweise:
- Übersäuerung
- Bewegungsmangel
- Fehlbelastung
- (Chronischer) Stress
- Vernarbungen nach einer Verletzung
Bei Fehlbelastung oder Überbelastung kommt es zudem zum sogenannten Faszienkater (auch bekannt als Muskelkater, eigentlich ist hier das Bindegewebe verletzt). Bei einer intakten Faszie ist der Heilungsprozess nach wenigen Tagen abgeschlossen. Ist jedoch eine verletzte Faszie betroffen, kann dies zu langwierigeren Themen wie einer Zerrung oder einem Faserriss führen.
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Faszien Training: Bewegung braucht 8 Dimensionen
Wer gesunde Faszien möchte, braucht die Geduld eines Bambusgärtners. Es dauert ca. 6 Monate, bis sich 30 Prozent des Gewebes erneuert haben. Zu intensives Training ist ebenfalls nicht zielführend, da in den ersten 48 Stunden der Kollagenabbau überwiegt und erst danach neues Kollagen gebildet wird. Ein bis zwei Mal pro Woche reicht daher, dafür heißt es dran bleiben. „Weniger ist mehr“, betont Schleip. „Überfordern Sie die Faszien nicht! Anders als beim Muskeltraining bringt es nämlich nichts, an die Grenzen der Belastungsfähigkeit zu gehen – denn Faszien verändern sich langsam, dafür nachhaltig.“
In Anlehnung an Dr. Schleip hier 4 Zugänge, um das Fasziennetzwerk zu trainieren:
- Soft Tissue Stretching: Hier geht die Bewegung weg von einzelnen Muskelketten hin zu kreativem Ganzkörperstretching. Man versucht auf eine pulsierende und spielerische Art ständig in Bewegung zu bleiben.
- Rebound Elasticity: Durch die Vorspannung des Fasziengewebes kann maximale Kraftleistung erzielt werden (vergleichbar mit dem australischen Känguru, das auf diese Weise 13 Meter weit springen kann). Hier macht man sich durch kurze Kontaktzeiten im Endbereich einen Katapulteffekt zunutze. Auch Gewichtheber und Top-Läufer nutzen diesen Effekt.
- Fluid Refinement: Hier geht man weg von großen Bewegungen hin zum feinen Spüren. Man taucht ein in das wässrige Innenleben der Muskeln und das sinnliche Erleben der Bewegung.
- Fascial Release Techniken: Ein Austausch des Bindegewebswassers kann durch Massagen oder Rollen erreicht werden. Diese effektive Form der Eigenbehandlung mit verschiedensten Tools erfreut sich derzeit großer Beliebtheit. Der Druck löst Spannungen und hinterlässt ein besseres Körpergefühl.
Vorteile von Faszientraining
Warum gesunde Faszien so wesentlich für die Gesundheit sind, ist einfach erklärt. Denn wenn Faszien verklebt sind, können Organe nicht mehr so gut aneinander gleiten, die Nährstoffversorgung, die Blutzufuhr und somit auch die Sauerstoffversorgung sind eingeschränkt. So lässt die Lebenskraft der Organe stätig nach. All das ist weniger eine Folge des Alters, als viel mehr die Folge eines Flüssigkeitsmangels und verklebter Faszien.
Da durch die Faszien im Körper alles mit allem verbunden sind, hat das Einfluss auf den gesamten Körper.
Neben einem gesunden, schmerzfreien Bindegewebe das jung und vital aussieht, hat das Faszientraining noch andere Vorteile. Die Lymphgefäße führen ebenso wie Blutgefäße durch die Faszie. Jede Bewegung unterstützt daher den Abtransport von Stoffwechselabfallprodukten sowie den Nährstofftransport. In der EZM sind auch Makrophagen (sogenannte Fresszellen) angesiedelt. Entsprechendes Faszientraining fördert daher die körpereigene Abwehr. Es gibt auch Forschungen, inwiefern Faszien bei der Entstehung von Krebs eine Rolle spielen.
Ebenfalls spannend: Im Fasziengewebe sind Emotionen und Traumata abgespeichert – auch hier gibt es derzeit Forschungen, welchen Einfluss Faszientraining auf die Psyche hat.
Yoga ist das ideale Faszientraining
Eine ruhige Wohlspannung in der Bewegung erzeugen, mit der Atmung langsam tiefer in die Bewegung fließen, tiefer schmelzen und jede Faser des Körpers spüren… das ist Yoga. Und das ist das, was Faszien lieben. Langsames Dehnen im Yoga baut überschüssiges Kollagen ab. Zudem wird durch das Nachspüren nach jeder Übung dem Körper Zeit gegeben, die Integration zuzulassen.
Faszien sind viskoelastisch, d.h. sie sind zum einem elastisch wie ein Stahlseil und gleichzeitig so zäh wie Honig. Bei zu großer und andauernder Belastung würden die Faszien ausleiern. Im Yoga lässt man sich Zeit…. viel Zeit und so kann das rausgepresste Wasser sich nach jeder Belastung wieder frisch auffüllen. Zudem ist beim Yoga die Haltung nicht starr, sondern lebendig. Man kreiert Raum über die Atmung und die organische Bewegung in alle Richtungen – eben diesen dreidimensionalen Raum, den die Faszien bilden.
Faszien bestehen zu einem Großteil aus Wasser. Ein Bild, was im Yoga gerne verwendet wird, ist so weich und gleichzeitig so stabil zu fließen wie Wasser. Ganz nach dem Motto des Kampfkünstlers Bruce Lee: „Become like water my friend.“
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Hallo!
Danke für diesen ehr informativen und spannenden Blogbeitrag!
Faszien sind was ganz Besonderes an unserem Körper und mit ihnen sollten wir vorsichtig und rücksichtsvoll umgehen!
Leider ist das im heutigen Alltag nicht immer einfach, weshalb das Faszientraining ein toller Kompromiss ist. Man kann entspannen und tut seinem Körper einfach etwas Gutes.
Super, wie hier das alles noch einmal zusammengefasst ist!
Beste Grüße,
Lara.
Hallo 🙂 Ich möchte hiermit ein großes Lob für diesen Artikel aussprechen. Es ist super wie als erstes allgemein über Faszien berichtet wird, wieso sie sich verhärten und danach, wieso Faszientraining bei Verspannungen helfen kann. Dieser Beitrag hat mir sehr weitergeholfen und ich kenne mich jetzt im Bereich der Faszien definitiv sehr gut aus.