Reiten aus der Körpermitte (Centered Riding) ist kein Reitstil, es ist viel mehr ein Verschmelzen mit dem Pferd im Sattel. Ein Gefühl, in Balance, Leichtigkeit und im Rhythmus zu reiten. Dafür braucht es durchaus eine Portion an Körperbewusstsein. In diesem Beitrag zeige ich dir, wie mir meine Yoga-Praxis dabei hilft.
Bilder im Kopf – beim Centered Riding unabdingbar
Im kraftvoll starken Trab schwebe ich über die Diagonale des Reitplatzes – jedes Aufstehen ein hinknien, die Füße gut geerdet im Steigbügel als würden sie im Matsch stehen. Ich spiele mein „inneres Videoband“ ab, das ich im Laufe der letzten Reitstunden verinnerlicht habe. Bilder wie diese, die ich Stück für Stück zusammensetze, um die die rechte Gehirnhälfte anzusprechen. Denn wenn die linke Gehirnhälfte das Gefühl einer Bewegung lernt, wechselt die Wahrnehmung in die rechte Gehirnhälfte über. So kann Leichtigkeit und Perfektion im Sattel entstehen. Der Weg dahin ist zugegeben aber ein langer, zumindest in meinem Fall.
Ich lernte eigentlich nie wirklich reiten. Als Kind galoppierte ich mit meinem Welsh Pony lieber durch den Wald, als auf ein Turnier zu fahren. Und wenn ich mich doch mal in eine Trainerstunde verirrte, wollte ich lieber über Hindernisse springen als meinen Sitz zu verbessern. Mein Glück war ein perfekt ausgebildetes Pony, das mich geduldig auf seinem Rücken trug.
Heute will ich es besser machen und endlich (richtig) reiten lernen. Als Yogalehrerin fand ich per Zufall zu Centered Riding. Sally Swift entwickelte dieses Konzept als neuen Weg, die klassischen Prinzipien des Reitens mithilfe von Körperwahrnehmung zu „zentrieren“ und innere Bilder zu verbessern.
Beim Centered Riding geht es mehr um das „Wie“ anstelle des „Was“.
Yoga und Reiten – ein Traumpaar
Yoga hilft die Eigenwahrnehmung zu schulen und den Körper wieder in seiner natürlichen Ausrichtung zu bewegen, ohne vom Pferd abgelenkt zu sein.
Wiederstände oder Verspannungen spiegeln sich in der Bewegung des Pferdes wider. Durch das Körpergefühl des Reiters verbessert sich auch das Körpergefühl des Pferdes. Das junge, ungerittene Pferd kann eigentlich alles: Von der Piaffe bis zur Passage bewegen sich die Tiere anmutig auf der Koppel. Alois Podhajsky (er war 26 Jahre lang Leiter der spanischen Hofreitschule) würde in die Hände klatschen. Kommt der Reiter in’s Spiel sieht es meist anders aus. Gott sei Dank sind wir keine Maschine und können Bewegung neu lernen.
Die 4 Grundlagen des Centered Riding und das Erden
Zunächst geht es beim Centered Riding darum, die vier Grundlagen und das Erden zu verinnerlichen. Konzepte, die auch im Yoga Raum finden. Aus dem Zusammenspiel dieser Grundlagen findet man den optimal Schwerpunkt im Sattel. Die Erdung bildet dafür die Basis.
- Zentrieren in der Körpermitte: Zeige spontan mit dem Finger auf eine Stelle zwischen Nabel und Schambein – hier, tief innen im Zentrum ist dein Balancepunkt. Ich nehme diesen Punkt als innere Sonne oder eine Art Generator wahr, der Energie sprüht. Durch das Zentrieren wird der Sitz stabiler und kann den Bewegungen des Pferdes weich folgen.
- Tiefe Atmung bis hinunter in das Becken, wenn möglich noch tiefer bis in die Füße und Hände. Die Atmung fließt leicht, der Schwerpunkt wird automatisch tiefer.
- Sanfte Augen, die einen umfassenden Blick über das Geschehen haben. Sehen, hören und spüren wird eins.
- Aufbauen von Bausteinen: Der Körper ist ein sorgfältiger Stapel von Bausteinen. Wenn er perfekt ausbalanciert ist, sollte von Ohr zur Schulter über die Hände, die Hüfte und das Fußgelenk eine Fallinie sein. Ein Test: Wenn man dir das Pferd unterm Sattel wegzieht, landest du auf deinen Füßen stehend am Boden.
- Erden: Das Gefühl, über die Sitzbeinhöcker und Füße tief mit der Erde verwurzelt zu sein. Es verschafft Stabilität und ein sicheres Gefühl und ist daher das Fundament, auf dem die vier Grundlagen aufbauen.
Hier beschreibt Centered Riding Instruktorin Jamison Wallace die vier Grundlagen beim Centered Riding:
4 Yoga Übungen für die 4 Grundlagen im Centered Riding
Damit du die vier Grundlagen am Pferd leichter umsetzen kannst, hier vier Yoga Übungen:
- Atmung vertiefen: Du sitzt bequem am Boden oder auf einen Sitzkissen (siehe auch Sitzhaltungen im Yoga). Deine Hände ruhen locker auf deinen Oberschenkeln. Einatmend nimm deine Arme über vorne nach oben, ausatmen in 3 Schritten: Zuerst den rechten Arm nach unten führen, dann den linken Arm und schließlich bewege dein Kinn zur Brust. Einatmend beginnst du wieder von vorne. Synchronisiere so Schritt für Schritt deine Ein- und Ausatmung, bis diese gleich lang werden.
- Finde deine Mitte: Platziere deine linke Hand am Bauch, die rechte Hand auf deinem unteren Rücken (bei Männern ist diese Handhaltung umgekehrt). Spüre den Bereich zwischen deine Handflächen. Kannst du zwischen deine Hände hin atmen, so dass sich dieser Bereich dreidimensional füllt? Stell dir nach einer Weile eine Energiekugel zwischen deinen Händen vor – du möchtest sie nach vorne und hinten rollen. So beginnt sich automatisch dein Becken zu bewegen – nach einigen Malen, lass diese Kugel nach unten in ein „Nest“ sinken. Du sitzt nun geerdeter, dein Kreuzbein fließt nach unten wie ein Anker.
- Erdung: Ohne deine „Kugel im Nest“ zu verlieren, führe deine rechte Hand über deine Vorderseite nach oben und ausatmend wieder nach unten in Richtung Körpermitte.
- Deine Bausteine finden: Stelle dich aufrecht in Tadasana hin und führe Ausrichtungsprinzipien aus deinem Yoga-Stil durch, zum Beispiel:
- Spüre deinen ersten Baustein – das sind deine Füße und Beine. Fächere deine Zehen dabei weit auf und verteile dein Gewicht gleichmäßig auf Groß- und Kleinzehenballen sowie auf deiner Ferse. Detaillierter kannst du das ganze hier nachlesen.
- Der zweite Baustein ist dein Becken. Hier fließt dein Kreuzbein wieder sanft nach unten wie ein Anker (Kugel im Nest).
- Der dritte Baustein ist dein Brustkorb. Dein Brustbein ist leicht angehoben, ohne dass deine unteren Rippen „hervorpoppen“.
- Der vierte Baustein sind deine Schultern, welche aufgespannt sind wie ein Kleiderbügel, deine Schlüsselbeine „lächeln“.
- Der fünfte Baustein ist schließlich dein Kopf, der wie bei einer Marionette am Seil hängt und sanft nach oben zieht. Deine vordere Gesichtshälfte steht senkrecht, deine Halsseite fühlt sich geöffnet an.

Yoga hilft nicht nur das eigene Körperbewusstsein zu verbessern, sondern auch mental die im Centered Riding nötige Vorstellungskraft zu entwickeln.
Weitere hilfreiche Bilder beim Reiten
Aufbauend auf den vier Grundlagen gibt es beim Centered Riding viele weitere Bilder, die die Fähigkeiten beim Reiten verbessern. Ein kleiner Auszug:
Schritt und der mitgehende Sitz
- Stell dir vor, du teilst dir eine Haut mit deinem Pferd. Versuche zu spüren, wann die Hinterbeine deines Vierbeiners nach vorne schwingen. Lass dabei die Sitzbeine vom Pferd bewegen.
- Sei wie eine Fichte, erde dich nach unten und wachse nach oben.
Leichttraben
- Reite mit einem Gefühl von Füßen im Matsch.
- Stell dir vor, du bist ein Stehaufmännchen mit Gewicht in den Beinen.
- Jedes Aufstehen ist ein Hinknien (meine Reitlehrerin gab mir dazu das zusätzliche Bild einer Kirchenbank), jedes hinsetzen ist wie wenn du vorher ein Abendkleid zurecht streifst.
Aussitzen
- Reite wie auf einer Skipiste voller Buckel, die Gelenke fangen die Stöße ab.
- Folge dem Aufwärtsimpuls vom Pferderücken. Der untere Rücken ist dabei wie eine kräftige Säule aus Gummi.
Galopp
- Reite in dieser Gangart, als ob du auf einer Wippe sitzt.
Hände
- Halte deine Zügel, als hättest du kleine Vögelchen in den Händen. Natürlich möchtest du diese nicht zerquetschen :). Alternativ kannst du dir einen Wasserschwamm vorstellen, denn du nur teilweise ausdrückst.
- Unterarme und Zügel bilden eine gerade Linie zum Pferdemaul. Stell dir vor, deine Arme sind wie ein beweglicher Wasserschlauch.
Wendungen oder Zirkellinien
- Der Oberkörper ist wie ein drehender Reklamepfahl.
- Der Pferdekörper ist wie ein Bogen.
- Du hast Augen auf der Brust, die in die gewollte Richtung zeigen.
Das Pferd ist unser Spiegel
Das Pferd ist eine großartige Kreatur: Indem wir uns durchlässig und leicht bewegen, tun sie dies auch. Der Pferderücken wölbt sich auf und die Hinterbeine treten schwungvoll unter. Es erfolgt ein müheloser Energieaustausch zwischen Pferd und Reiter. Jeder Reiter sollte meiner Ansicht nach irgendeine Form von Körperarbeit machen: Egal ob Yoga, Tai Chi, Feldenkrais oder Pilates. Es lohnt sich.
Das Ergebnis von Centered Riding ist ein gesundes Pferd, das Freude an der Arbeit hat und sich perfekt ausbalanciert bewegt.
Mehr Infos zum Thema Reiten aus der Körpermitte
Reiten aus der Körpermitte wurde von Sally Swift, der Autorin der Bestseller „Reiten aus der Körpermitte“ und „Reiten aus der Körpermitte 2“ entwickelt. Heute wird Centered Riding auf der ganzen Welt unterrichtet, wobei es Ausbildungsstufen zwischen 1 und 4 gibt. Um ein CR-Ausbilder zu werden, muss man einen entsprechenden CR-Kurs besuchen, und um den aktiven Status zu halten, müssen regelmäßig Fortbildungen belegt werden.
- Centered Riding Austria: www.centeredriding.at
- Centered Riding around the World: www.centeredriding.org
- Centered Riding YouTube Videos: www.youtube.com
Bildnachweis: bigstock.at