Wo sind deine Gedanken gerade? Rasen sie unkontrolliert über die Synapsen-Autobahn, mal im gestern, dann wieder im morgen? Keine Sorge, alles normal bei dir. Aber die Anziehungskraft des Moments birgt die echte Leichtigkeit des Seins. Tempo runter, Achtsamkeit rauf, Serotonindusche an: Mindfulness ist der Trend der Stunde.
Von Glück und Unglück
Happiness is seeing life with eyes wide open.
Es ist noch nicht lange her, da bin ich am Ende der Welt auf einer einsamen Insel gesessen. Das Smartphone ist – bewusste Entscheidung – die ganze Zeit über im Koffer geblieben. Zwei Wochen, abgeschnitten von der Außenwelt. Zu Beginn war das mit dem ständigen Gefühl verbunden, anderswo etwas zu verpassen. Nach einigen Tagen legt sich das. Dafür wird Zeit zum zähflüssigen Strom, will immer weniger schnell vergehen. Und plötzlich drängt sich ein alter, entfernter Bekannter in den Vordergrund: der Moment.
Aus der Kindheit kennen wir diesen Zustand doch alle: Vertieft ins Spiel ist die Uhrzeit völlig egal, was zählt ist das Hier und Jetzt. Einmal erwachsen, treibt uns plötzlich unser Leben vor uns her. Wir hetzen von einem Termin zum nächsten, lassen uns stressen, halten nie inne – und wundern uns, wie die Zeit vergeht. Wir geben unsere Träume auf, verlieren den Fokus und realisieren entweder spät oder nie, was wir verpasst haben. Genau dort setzt Mindfulness an.
Was bedeutet Mindfulness?
Mindfulness bedeutet, dem Moment in größter Achtsamkeit zu huldigen. Zielgerichtete, nicht wertende Aufmerksamkeit auf Gedanken, Gefühle, Körper und Umgebung. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt.
Zuallererst ist dieser Fokus auf den Moment eine bewusste Handlung. Bewusstsein und Achtsamkeit bedeuten aber nicht das selbe. Man kann sich einer Eigenschaft oder Handlung durchaus bewusst sein, ohne ihr Achtsamkeit zu schenken. Zum Beispiel beim Essen, das grundsätzlich eine bewusste Handlung darstellt. Achtsame Nahrungsaufnahme aber bedeutet langsam zu essen, jeden Geschmack auszukosten und dabei keine Gedanken an andere Dinge zu verschwenden.
Mindfulness schließt auch ein, über die eigenen Gedanken und Gefühle nicht zu urteilen, ihnen kein richtig oder falsch zuzuordnen.
Ein Trend der keiner ist
Der Grundgedanke der Achtsamkeit entsammt dem Buddhismus. Mindfulness ist also viel älter, als die wissenschaftliche Erkundung des Begriffs. Der Grundgedanke jeglicher Meditation im buddhistischen Kontext ist Achtsamkeit.
Die älteste buddhistische Meditationsform, genannt Vipassana, wird auf Buddha selbst zurückgeführt. Der Pali-Kanon umfasst die Hauptquellen von Vipassana und ist die Grundlage des Theravāda-Buddhismus. In diesem Kanon findet sich das Satipatthāna-Sutta, Buddhas Rede von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit.
Er beschreibt darin die vier Grundlagen der Achtsamkeit:
- Körper (Atmung, Haltung, Tätigkeiten des Körpers)
- Gefühle & Empfindungen (Einordnung als positiv, neutral oder negativ)
- Geisteszustände (aufmerksam, verwirrt, gelangweilt,…)
- Geistesobjekte (alle Objekte, die im Innen und Außen wahrgenommen werden)
Wer Mindfulness zum Durchbruch verhalf
Der amerikanische Universitätsprofessor John Kabat-Zinn hat dem Thema Mindfulness schließlich durch eine nicht-religiöse Auslegung in der Öffentlichkeit zum Durchbruch verholfen. Schon 1979 hat er an der University of Massachusetts Medical School das Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) Programm ins Leben gerufen (das auch einen Verband in Österreich hat).
MBSR bedeutet Stressbewältigung durch Achtsamkeit. Ursprünglich war dieses Programm auf die Reduktion von Schmerzen ausgelegt. Speziell durch seine Anwendung in der Prophylaxe ist es aber auch für Unternehmen und Schulen in der Burnout-Prävention attraktiv geworden.
John Kabat-Zinn über Mindfulness:
Vorteile von Mindfulness
Die Website der amerikanischen Universität Berkeley bietet einen umfangreichen Überblick über die Mindfulness-Vorteile. Hier die Übersetzung:
- Mindfulness ist gut für unseren Körper: Eine bahnbrechende Studie hat ergeben, dass nach nur acht Wochen Praxis von Mindfulness-Meditation die Fähigkeit des Immunsystems Krankheiten abzuwehren stark gestiegen ist.
- Mindfulness ist gut für unseren Geist: Mehrere Studien haben ergeben, dass Mindfulness positive Emotionen steigert während es negative Emotionen und Stress reduziert. Mindestens eine Studie hat sogar ergeben, dass es gegen Depressionen und Rückfälle ähnlich gut wirkt wie Antidepressiva.
- Mindfulness verändert unser Gehirn: Forschungen haben ergeben, dass sich die Dichte von grauer Masse im Gehirn in den Regionen die für Lernen, Erinnerung, Emotionsregulierung und Empathie zuständig sind, erhöht.
- Mindfulness hilft uns zu fokussieren: Studien weisen darauf hin, dass Mindfulness uns hilft, Ablenkungen auszublenden und Erinnerungsvermögen und Aufmerksamkeit verbessert werden.
- Mindfulness fördert Mitgefühl und Altruismus: Forschungen haben ergeben, dass Mindfulness-Training die Wahrscheinlichkeit erhöht, jemandem in Not zu helfen und Aktivitäten in neuronalen Netzwerken fördert, die daran beteiligt sind, das Leiden anderer zu verstehen. Auch die Selbstsicherheit wird gefördert.
- Mindfulness verbessert Beziehungen: Forschungen zeigen, dass Liebespaare zufriedener mit ihrer Beziehung sind, die Partner optimistischer und entspannter sind und sich gegenseitig besser verstehen und akzeptieren.
- Mindfulness ist gut für Eltern und werdende Eltern: Studien zeigen, dass es mit Schwangerschaft verbundene Gefühle von Angst, Stress und Depression bei werdenden Eltern vermindert. Eltern, die Mindfulness üben berichten, zufriedener mit ihren Fähigkeiten als Eltern zu sein und eine bessere Beziehung zu ihren Kindern zu haben. Ihre Kinder haben ausgeprägtere soziale Fähigkeiten.
- Mindfulness hilft Schulen: Es gibt wissenschaftliche Beweise, dass der Unterricht von Mindfulness an Schulen Verhaltensprobleme und Agressionen unter Schülern reduziert. Zudem sind die Schüler glücklicher und können besser aufmerksam sein. Lehrer, die Mindfulness trainieren, haben zudem niedrigeren Blutdruck, weniger negative Emotionen oder Depressionssymptome und größeres Mitgefühl sowie mehr Empathie.
- Mindfulness hilft Menschen im Gesundheitssektor mit Stress umzugehen, mit Patienten bessere Beziehungen aufzubauen und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Es hilft zudem Menschen, die sich um die geistige Gesundheit ihrer Patienten kümmern, negative Emotionen und Angst zu reduzieren und ihre positiven Emotionen sowie ihr Mitgefühl zu erhöhen.
- Mindfulness hilft in Gefängnissen: Es gibt Belege dafür, dass Mindfulness Wut, Anfeindungen und Stimmungsschwankungen unter Gefängnisinsassen reduziert und zwar durch erhöhte Aufmerksamkeit betreffend ihrer Gedanken und Emotionen, was sie in ihrer Rehabilitierung und Reintegration unterstützt.
- Mindfulness hilft Veteranen: Studien zeigen, dass Mindfulness die Symptome von post-traumatischem Stress nach einem Kriegseinsatz reduzieren kann.
- Mindfulness hilft gegen Fettleibigkeit: Die Praxis des „achtsamen Essens“ ermutigt zu gesünderen Essensgewohnheiten, hilft Menschen Gewicht zu verlieren und den Wert ihres Essens besser zu schätzen.
Mindfulness Meditation
Mindfulness ist eng mit dem Thema Meditation verbunden. Achtsamkeit zu üben bedeutet daher zu meditieren. Auf marc.ucla.edu finden sich acht kostenlos verfügbare Mindfulness-Meditationen zur Übung.
Der normale Zustand: Zufriedenheit
Glückwunsch! Du hast dich erfolgreich durch die theoretischen Grundlagen gelesen und fragst dich vielleicht immer noch, was die Sache mit dir zu tun hat? Kurzum: Weil Mindfulness das beste Rezept gegen Stress und für mehr Zufriedenheit ist.
Also: Nimm das Tempo raus und begegne dem Leben mit mehr Achtsamkeit!
Buchtipp: Wer sich intensiver mit Mindfulness auseinandersetzen möchte, sollte „Mindfulness: A Practical Guide to Finding Peace in a Frantic World“ von Mark Williams (ebenfalls eine Korifee auf dem Gebiet) lesen.
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