Hat Anatomie Platz auf der Yogamatte? Ja. Denn das Wissen um körperliche Ausrichtung schafft die Basis für gesunde Bewegung. Damit Anweisungen wie „integriere dein Hüftgelenk in der Hüftpfanne“ keine kryptischen Rätsel bleiben, haben wir versucht, wichtige anatomische Grundlagen im Yogaunterricht so einfach wie möglich zu beschreiben. Von Kopf bis Fuß.
Wir Europäer sind ein sitzendes Volk. Beweise dafür gibt es genug: Wir sitzen vor dem Schreibtisch, vor dem Fernseher, am Esstisch… sogar während man diese Zeilen liest sitzt man. Unser Bewegungspotential liegt am Boden und hält ein Nickerchen. Kein Wunder, dass viele Yoga-Anfänger zu Beginn ihrer Yoga-Karriere die Zehen nicht mehr spreizen oder die Arme heben können. Das Gefühl für viele Körperbereiche ist verloren gegangen, kann mit Yoga aber wieder neu entdeckt werden.
Die Reise zu mehr Körperbewusstsein
Unser Körper ist wie eine dreidimensionale Landkarte, die es nach und nach zu entdecken gilt. Yoga ist der Kompass und zeigt die Richtung auf. Damit man sich auf dem Weg zu mehr Körperbewusstsein nicht verirrt, sollte man folgende Wegweiser lesen:
- Ahimsa (Gewaltlosigkeit): Jeder Körper braucht etwas anderes. Übe stets achtsam und akzeptiere deine Grenzen. Die Asana-Praxis darf natürlich auch mal fordernd sein, übermäßiger Druck z.B. in den Gelenken ist aber kontraproduktiv.
- Sthira-sukham asanam: Jedes Asana soll zwei Qualitäten haben: sthira (die Stabilität) und sukha (die Leichtigkeit). So findet man das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung. Die Erfahrung von Leichtigkeit stellt sich dann ein, wenn die Haltung richtig eingenommen wird. Gerade bei kraftvollen Haltungen plagen sich viele Yogis damit, ihre Körperteile zu stabilisieren. Mit einfachen Ausrichtungsgrundsätzen sind diese Positionen ganz einfach. Es geht darum die Kraft zu bündeln und ins Zentrum – in die Körpermitte – zu ziehen. Im zweiten Schritt schickt man noch mal Weite in die Position. Dadurch erhält das Asana mehr Leichtigkeit.
- Aufrichtung: Wir Menschen unterscheiden uns von Vierbeinern darin, dass wir aufgerichtet durchs Leben gehen. Unser Becken ist dabei das Zentrum. Unser Brustkorb liegt zentriert über dem Becken und verbindet so Kopf (Verstand), Herz (Gefühl) und Bauch (Intuition). Egal in welchem Asana wir uns befinden, wir richten uns zuerst auf. So stehen die einzelnen Körperabschnitte korrekt zueinander.
5 Tipps für anatomische Ausrichtung im Yoga
Tipp 1 – Füße
Mit beiden Beinen fest am Boden stehen. Die Ausrichtung beginnt bei jedem Asana bei den Füßen. Sind diese nicht korrekt ausgerichtet, schleichen sich bei den oberen Stockwerke ebenfalls „Fehler“ ein. Das ist vergleichbar mit einem Gebäude, dessen Fundament nicht richtig gebaut ist. Zudem sind die Füße ausschlaggebend für die Stabilität (siehe oben Sthira-sukham asanam).
Wer das Prinzip von Tadasana-Beinen verstanden hat, kann dieses in allen weiteren Asanas anwenden.
- Die Füße sind im aufrechten Stand hüftgelenksbreit (Achtung: nicht hüftbreit, ca. eine Handbreite Platz zwischen den Füssen) und zeigen parallel nach vorne.
- 4 Kontaktpunkte: Großzehenballen, Kleinzehenballen, Innenseite der Ferse, Außenseite der Ferse
Tipp 2 – Kniegelenk
Das Kniegelenk ist ein Drehscharniergelenk. Du kannst es beugen und strecken, sowie im angewinkelten Zustand leicht rotieren. Achte darauf, dass die Kniescheiben immer gerade nach vorne zeigen. Zudem sollte man in Haltungen wie Virabhadrasana Wert auf einen rechter Winkel zwischen Sprung- und Kniegelenk legen. Häufiger Fehler in dieser Haltung ist auch, dass das Knie nach innen kippt. So kommt es zu einer ungünstigen Belastung der Menisken die vermieden werden sollte.
Tipp 3 – Beinachse
Als Beinachse bezeichnet man das Zusammenspiel von Fuß, Unterschenkel, Oberschenkel und Hüftgelenk. Diese Einheit spielt insbesondere bei Standhaltungen eine große Rolle, da das Bein als Stoßdämpfer wirkt und für die Kraftübertragung zum Einsatz kommt. Zudem können X- und O-Beine durch die richtige Ausrichtung der Beinachse ausgeglichen werden:
- Bei X-Beinen sollte man die Fußaussenkante stärker belasten. Während man bei
- O-Beinen genau das Gegenteil macht und mehr Druck auf die Fußinnenkante gibt.
Tipp 4 – Armachse
Zur Armachse gehören das Schulter-, Hand- und Ellbogengelenk sowie die Hand, Unter- und Oberarm. Wesentlich ist, dass der Ellbogen immer den Bewegungsimpulsen aus der Hand und Schulter folgt. Auf der Yogamatte sind die Hände schulterbreit platziert, der Mittelfinger zeigt im rechten Winkel zur Matte nach vorne und bildet sozusagen die Verlängerung des Unterarms. Das mindert die Belastung in den Handgelenken. Die Finger sind dabei schön weit aufgefächert. Um das Handgewölbe zu aktivieren, gibt man etwas Druck in Daumen- und Kleinfingerballen sowie in die Fingerkuppen.
Die Grafik links verdeutlicht, wo das Gewicht auf den Händen liegen sollte. Das Handgelenk erreicht so deutlich mehr Stabilität.
Tipp 5 – Schultern
Unsere Schultern sind ein Stimmungsbarometer. Das Sprichwort „Lass die Schultern nicht hängen!“ sollte man sich auch auf der Yogamatte zu Herzen nehmen. Denn wer die Schultern nach hinten und unten sinken lässt, verleiht dem Herzen Ausdruck.
Die optimale Positionierung des Schultergürtels erreichst du, indem du die Ellbogen beugst, die Oberarme kräftig nach außen drehst und die Schultern von den Schlüsselbeinen breit aufspannst. Hilfreich ist hier das Bild, Zitronen unter den Achseln auspressen zu wollen. Mit diesem Ausrichtungstipp werden die Armachsen spiralig verschraubt und die Gefahr, Ellbögen zu überstrecken, wird minimiert.
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