Liu Xinping ist Shaolin-Mönch und kommt aus Shenyang in China. Mit 10 beschließt er, ins Kloster zu gehen, um die Kunst des Tai Chi und Kung Fu zu erlernen. Heute, 40 Jahre später sitzt er mit uns im Hotel Larimar im Burgenland. Wir sprechen kein Wort chinesisch, er kein Wort deutsch. Deswegen ist auch sein Dolmetscher dabei. Aber: Was fragt man einen Mönch, der alles zu wissen scheint? Gut, dass es in Wahrheit keine Sprache braucht, um die Anliegen dieses Menschen zu verstehen – sein sanftes Lächeln reicht. Ein Interview mit einem Shaolin-Meister.
Über Gelassenheit wird viel gesprochen, praktizieren tun sie nur wenige. Als wir in Stegersbach eine Woche zur Erholung vom Alltagstrouble buchten, hatten wir keine Ahnung, wie nah wir diesem Begriff kommen sollten.
Das Hotel Larimar fügt sich perfekt in die Landschaft, architektonisch gekonnt im goldenen Schnitt erbaut und so gut es geht ökologisch nachhaltig geführt. Der Platz in Stegersbach strahlt Ruhe aus, nicht zuletzt, weil über den Sommer zwei Shaolin-Mönche hier wohnen, um ihre Philosophie an die Gäste weiterzugeben.
Alles hat seine Zeit (oder: eins nach dem anderen)
Sich selbst und der Welt mit innerer Ruhe zu begegnen, ist nicht immer leicht. Shaolin-Meister Liu Xinping nimmt sich dafür Zeit. Er versteht nicht, warum Menschen in Europa sich Druck auferlegen, wo sie doch so viel Wohlstand haben.
Ein voller Terminplan ist okay und sogar wichtig, meint er, aber nicht alles muss immer schnell oder sofort geschehen. Nach mehreren Tai Chi und Qi Gong Einheiten mit dem Meister wird deutlich, was er damit meint. Der Unterricht verläuft beinahe schweigend, jeder ist bei sich. Eins, nach dem anderen: Einen leeren Kopf trägt man schließlich leichter als einen schweren.
Der Zeitplan des Shaolin-Meisters im Larimar ist straff. Täglich um 9 Uhr übt er Tai Chi mit den Hotelgästen, widmet sich danach einer Massage nach der anderen, bevor er nachmittags Qi Gong und Kung Fu lehrt. Wer ihn dabei beobachtet bemerkt: Der Meister tut all dies mit Hingabe. Er nimmt sich für alles Zeit – auch für uns.
Schließlich sitzen wir mit dem Shaolin-Meister, dem Dolmetscher Yin Jingwei und dem Hotelinhaber Johan Haberl an der Bar des Hotels. Seine 60 Jahre sieht man ihm kaum an, höchstens 50 hätten wir geschätzt. Was ist das Geheimnis dieses Mannes? Und was können wir von ihm für unser Leben lernen?
Meister Liu Xinping, woraus schöpfen Sie Ihre Energie?
Von dort, woraus jeder sie schöpft (Der Meister zeigt auf seinen Bauch). Die Energie, das Qi, ist von Natur aus in dir. Durch Übungen kann jeder diese Energie verstärken.
War das der Grund, warum Sie Shaolin-Mönch wurden? Wollten Sie lernen, wie man diese Energie vermehrt?
Ich ging mit zehn Jahren ins Kloster, um Tai Chi und Kung Fu zu lernen. Ich wollte trainieren, um gesund zu bleiben. Das ist mir gelungen. Heute bin ich 60 Jahre alt und es geht mir sehr gut.
Wie lange waren Sie denn im Kloster?
Über zehn Jahre. Mit 20 Jahren wollte ich die Welt sehen und mein erlerntes Wissen theoretisch untermauern. Im Kloster üben wir vor allem praktische Übungen, ich wollte wissen, warum das, was ich tue, wirkt. Ich war daher eine Zeit in einem Krankenhaus tätig, bevor ich wieder zurück in das Kloster ging. In unserer Kultur ist das nicht unüblich: Man kann im Kloster kommen und gehen, wie man möchte. Das ist ganz unkompliziert und dieser Weg steht jedem offen.
Wie hat es sich schließlich ergeben, dass Sie nach Österreich kommen?
Ich wollte einen Kulturaustausch. Und ich wollte verstehen, wie die europäische Medizin funktioniert. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) geht es vor allem um Kräuterlehre und den Energiefluss verschiedener Meridiane. Wenn jemand krank ist, versucht man an der Ursache zu arbeiten.
Viele Menschen merken ihre Blockaden gar nicht. Sie stolpern, verletzten ihren Fuß und schenken ihm nicht weiter Aufmerksamkeit. Dadurch kann es auf energetischer Ebene aber zu einer Blockade kommen. Der Körper besteht aus vielen Akupunkturpunkten. Wenn man einen gewissen Punkt drückt und dieser schmerzt, besteht eine Blockade. Meine Arbeit hier ist es, Blockaden zu lösen und es den Menschen klar zu machen, dass dieser natürliche Weg auch funktioniert.
Prävention spielt dabei eine große Rolle. So kann man sich durch Selbstmassage helfen, Energien wieder fließen zu lassen. Bewegungslehren wie Qi Gong, Kung Fu und Tai Chi sind ein weiterer wichtiger Bestandteil, für ein langes glückliches Leben.
Können Sie erklären, was der Unterschied zwischen Qi Gong, Kung Fu und Tai Chi ist?
Bei allen Techniken geht es darum, das Qi zu vermehren. Durch Wiederholung und regelmäßiges üben wird diese Energie angeregt und Blockaden können sich lösen. Die Bewegungen haben aber auch etwas mit der chinesischen Kultur zu tun. So haben wir früher die Wolken beobachten und wollten wissen, wie es sich anfühlt, über den Himmel zu schleichen wie diese weißen Luftpolster. Von da kommt zum Beispiel die Qi Gong Übung „Wolken streichen“.
Kung Fu ist die sportlichste Variante zur Vermehrung des Qi. Es ist in sehr alten Schriften festgehalten, wie man diesen „Schlangenstil“ kämpft. Aber egal ob Qi Gong, Kung Fu oder Tai Chi. Wir haben dabei immer die Natur und die Tiere nachgeahmt. Alles ist fließend und natürlich. Eine korrekte Ausführung der Übungen ist daher wesentlich, damit es mit dem Vorkommen in der Natur zusammenpasst. Auch der Atem ist essenziell.
Kann man durch Kung-Fu Erleuchtung erlangen?
Ja, das geht. Nur der Weg dahin ist lang (lacht).
Durch so viel Meditation und Übungen: Sind die Mönche im Kloster nie krank?
Im Grunde sehr wenig. Vielleicht hat mal jemand ein Virus, aber man hilft sich dann selbst. Ich bin 60 Jahre alt und habe einen gesunden Körper. Ich nutze tägliche Erfahrungen, um mich gesund zu erhalten. Heute habe ich etwas Halsschmerzen und ein leichter Husten bahnt sich an. Daher trinke ich Cola weil es ähnlich wie ein chinesisches Saft gegen Husten wirkt.
Wenn man eine Krankheit im Vorstadium behandelt, dann verschwindet sie auch wieder leicht. Je länger man eine Krankheit hat, desto hartnäckiger ist der Heilungsprozess. Das ist auch bei Krebs und anderen schweren Krankheiten der Fall.
Wir Mönche leben hauptsächlich vegetarisch und vegan, aus dem einfachen Grund, dass „moderne“ Lebensmittel zu teuer sind. Viele westliche Zivilisationskrankheiten gibt es bei uns daher gar nicht.
Was ist das größte Problem, warum wir im Westen krank werden?
Ein großer Auslöser ist, das viele Krankheiten am Anfang nicht beachtet werden, wie der angesprochene geknickte Fuß. Die Energie ist blockiert, aber solange es sich um keine schwere Verletzung handelt, wird dem keine Beachtung geschenkt. Erst mit der Zeit merken Leute, dass etwas nicht stimmt. Dazu gibt es ein Sprichwort:
Wenn jemand 7 Jahre eine Krankheit hat, braucht man mindestens 6 Jahre Therapie, um diese zu heilen.
Wenn ich zu Hause im Dorf Personen behandle, geht es immer darum, Energieblockaden zu lösen. Ich mache eine Diagnose von Kopf bis Fuß, ich schüttle die Gelenke durch und mache Reflextests. So kann ich viel über den Gesundheitszustand eines Menschen in Erfahrung bringen. Das braucht natürlich Zeit.
Stichwort Zeit: Ein Tag dauert für jeden Menschen gleich lange. Warum vergeht er dennoch für manche schneller?
Wenn man viel zu tun hat und der Terminplan das eigene Tun beherrscht, dann vergeht die Zeit viel schneller. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, denn der Mensch braucht seine Aufgaben und Ziele. Es geht eher darum, achtsam zu bleiben.
Johann Haberl, Eigentümer des Larimar Hotels: Vor 100 Jahren hatte ein Haushalt an die 400 Dinge. Zündhölzer, Kerzen, ein paar Töpfe zum Kochen und so weiter. Das reichte für die ganze Familie. Heute hat ein durchschnittlicher Haushalt 10.000 Dinge. Das Leben wird immer komplexer, die Dinge laufen schneller ab und wir tun viel mehr als früher. Auch in China dreht sich die Welt schneller. Man sieht auf der Strasse Elektromopeds und Mittelklassewagen fahren… im Kloster ist das natürlich noch anders.
Haben Sie einen Rat an uns, um lange gesund zu bleiben?
Um gesund zu bleiben, ist die Psyche besonders wichtig. Es geht um eine positive Grundhaltung dem Leben gegenüber. Positive Affirmationen wie „Ich nehme die Arbeit gerne an und ich freue mich, meine Kunden zu heilen“ sind meine Art zu denken. So ist man entspannter, glücklicher und das überträgt sich auch auf den Körper.
Dieses Zusammenspiel lässt sich auch auf Körper bzw. Organe übertragen. Alles muss miteinander harmonieren: Wenn die Niere kaputt ist, hat das Einfluss auf andere Organe. Es gehört alles zusammen, auch Körper und Geist. Positives Denken ist daher besonders wichtig.
Welche positive Sache würden Sie aus Österreich mit nach China nehmen?
Es gibt viele Sachen, die ich aus Österreich mit nach Hause nehmen möchte. In Österreich ist die Mentalität ganz anders. Die Menschen sind sehr hilfsbereit und offen. Erst gestern waren wir Fahrradfahren und eine Familie hat uns mit offenen Armen aufgenommen zum Tee trinken. Das gefällt mir.
Eines der wichtigsten Aspekte ist aber die Natur. Hier in Österreich achten die Menschen viel mehr auf die Natur: Alles ist schön angelegt, es liegt kaum Müll herum… in China ist das leider anders. In meiner Heimat muss man Menschen bewusst erklären, dass uns die Natur nicht gehört und dass wir ohne Natur nicht lebensfähig sind.
Wir dürfen die Natur niemals vergessen. Die Natur schenkt uns den Frieden.
Xièxie. (dt. Danke)
Bildnachweis: Hotel Larimar, eigene Aufnahmen
Hallo Katharina,
ich bin begeistert von diesem interessanten Interview. Vor einiger Zeit habe ich ein Buch über Shaolin-Mönche gelesen und war sehr beeindruckt. Toll, dass du die Gelegenheit hattest, einen Shaolin-Meister zu interviewen, das war sicher eine ganz spannende Erfahrung.
Obwohl ich natürlich weit davon entfernt bin, ein Shaolin-Mönch zu sein, merke ich doch immer wieder, dass mich genau das zufrieden und glücklich macht, was Liu Xinping angesprochen hat: Gelassen und achtsam durchs Leben zu gehen, auf meine Bedürfnisse zu achten, einfach zu leben und Kraft aus der Natur zu sammeln. Das alles hört sich nicht schwer an, ist aber oftmals gar nicht so leicht, weil uns die westliche Gesellschaft etwas ganz anderes vorlebt (und anerzogen hat).
Vielen Dank für dieses interessante Gespräch.
Liebe Grüße
Maike
Hi Katharina.
Klasse Interview und ein super Beitrag!
Ich muss mich immer wieder daran erinnern mir auch meine Pausen zu nehmen. Da ich für das was ich tue so sehr brenne, würde ich oft am liebsten den ganzen Tag arbeiten. Das kommt auch des öfteren vor, was sich sofort auf meine Schlafqualität auswirkt. Abschalten und auch mal nichts tun ist so ungemein wichtig! Daher habe ich es mir nun zur Lebensaufgabe gemacht auch darüber zu schreiben und meine Kunden ergänzend zum Training auch Entspannungstechniken zu vermitteln. Seit Monaten fühle ich mich nun auf einem guten Weg. Danke für Deinen Beitrag!
Sportliche Grüße
Ein bewundernswertes Interview. Irgendwann werden wir uns auch auf die wesentlichen Dinge besinnen. Das Streben nach Reichtum und Anerkennung ist doch nur eine Fassade. Was bleibt da am Ende noch?
Vielen Dank für den Beitrag.